Keep it simple
Ich reagiere mittlerweile äußerst allergisch, wenn wieder mal irgendein Idiot auf die Idee kommt, man könne das Leben doch noch ein bisschen komplizierter machen, als es sowieso schon ist.
Okay, man hat sich daran gewöhnt, dass z.B. der Computer mit jedem Systemupdate komplexer und undurchschaubarer wird. Ich habe auf dem Dachboden noch meinen alten Apple LC III mit System 7.1 drauf. Jesus, war das noch schön!
Man hat sich ebenfalls daran gewöhnt, in der Bäckerei nebenan nicht mehr nur zu sagen: "Ich hätte gerne sechs Brötchen, bitte". Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich als kleines Kind Brötchen holen konnte, eine Mark auf den Tisch legte und nicht nur 70 Pfennig zurück bekam, sondern auch drei Brötchen. Das ginge ja heute gar nicht mehr. "Na Kleiner, was willst Du denn? Schnittbrötchen? Rundstücke? Eckstücke? Mehrkorn? Fünfkorn? Sechskorn? Sesam? Indische Nussbrötchen? Außergalaktische Spaceschrippen? ..." Und egal, wofür du dich am frühen Morgen in aller Müdigkeit entscheidest, es schmeckt eh wie Brot von letzter Woche. Denn mit der Komplexität des Brötchenbusiness ist ganz offensichtlich die Kunst des Backens endgültig verloren gegangen. (Nein, ich werde mich nicht wieder über Kamps auslassen ...)
Aber man weiß auch, dass die Welt komplexer wird, sobald man mehr Optionen bekommt. Das ist so etwas wie das Schicksal der Moderne. Umso mehr freut man sich über kleine Inseln der Einfachheit, die einem Entscheidungen leicht machen und das Leben ein wenig angenehmer.
Nehmen wir die Bahncard.
Ich fahre ungefähr zehn Mal pro Jahr längere Strecken mit der Bahn. Meistens von Hamburg ins Ruhrgebiet oder nach Berlin. Da bietet sich das an. Von diesen zehn Mal kommt der Zug vier Mal mehr als eine Stunde zu spät, und ich friere mir auf den Bahnsteigen den Arsch ab. Denn die Verspätungen sind meistens im Winter. Weitere drei Mal ist der Zug dermaßen überfüllt, dass ich nur mit größter Mühe einen Sitzplatz ergattere, weshalb ich zuletzt immer reserviert habe, auch an stressfreien Tagen. (Denn die Bahn scheint nicht zu verstehen, dass die meisten Menschen am Freitag oder Sonntag nachmittag mit dem Zug fahren, sonst würde sie ein oder zwei Waggons anhängen.) Die restlichen Fahrten sind okay, allenfalls durch völlig abgedrehte, besoffene und vor sich hin grölende Fußballfans beinträchtigt.
Trotz all dieser Nachteile hatte die Bahn bislang einen alles entscheidenden Vorteil: Die Fahrt kostete immer nur die Hälfte, denn es gab ja die Bahncard. Das war sauber, einfach, übersichtlich, ja von geradezu überirdischer Eleganz. Und weil es so einfach war, musste das Ende ja wohl irgendwann kommen.
Wir haben alle gehört, dass es ab dem kommenden Jahr bei der Deutschen Bahn AG eine Tarifstruktur geben wird, die sich in Unübersichtlichkeit, Kundenfeindlichkeit und Realitätsverlust mit denen der Fluggesellschaften messen will. Ich will mir jetzt die Details über Vorbestellungen, Prozentpunkte usw. ersparen, aber eines ist klar: Wir haben heute morgen beschlossen, unsere Bahncards nach vielen Jahren nicht mehr zu verlängern und demnächst wieder mehr mit dem Auto zu fahren. Ich hoffe, viele, viele Bahnkunden werden dasselbe tun, um Herrn Mehdorn die Arschkarte zu zeigen.