Warum bitte "Polemik" ?

Warum der Spiegel diesen Artikel Polemik nennt, ist mir nicht klar. Ich habe lange nichts Luzideres über die Situation der Schulen in Deutschland gelesen. Das Polemische an dem Artikel soll wohl sein, dass hier endlich gesagt wird, was jedem klar sein sollte: Wenn Deutschland im internationalen Bildungs-Vergleich schlecht abschneidet, liegt das nicht an den Schülern, sondern an Lehrern, die schlecht ausgebildet, in bürokratische Lehrprozesse eingebettet sind und ihren Beruf so ausüben, wie man es von Beamten erwartet: als hoheitlichen Akt. Ein Lehrer in Deutschland zu sein bedeutet, den Klassenraum als Schlachtfeld zu betrachten und Lehren als Angriffskrieg auszuüben. Hier liegt die Polemik ebenfalls den Finger in die richtige Wunde: Schüler sind die natürlichen Feinde des Lehrertums. (Schlimmer sind nur diejenigen, die dem Lehrertum auch nur eine Stunde ihrer kostbaren Freizeit oder gar einen Tag ihres so knappen Jahresurlaubs stehlen wollen. Wie sollten die Lehrer denn dann noch ihren zahlreichen Verpflichtungen - vor allem in den Parlamenten aller staatlichen Ebenen - nachkommen? ) Anders ist folgendes nicht zu erklären:

In Vietnam sind viele Schulen schlecht ausgestattet, mäßig ausgebildete Lehrer stehen vor großen Klassen und müssen mancherorts in drei Schichten unterrichten. Dennoch sind die dortigen Schüler denen aus München in Mathematik haushoch überlegen.
Ich habe eigentlich keinen Grund mich zu beschweren. Wer wie ich zu Beginn der sechziger Jahre geboren ist, gehörte zu den ersten Nutznießern der umfassenden Bildungsreformen in den Siebzigern. Zehn Jahre früher wären Menschen wie ich wohl niemals auf ein Gymnasium, geschweige denn auf eine Universität gekommen. Gleichzeitig gehört meine Generation aber auch zu den ersten Opfern der Bildungsreform. Denn effektiv gelernt haben wir in 13 Schuljahren nichts. Was nicht ganz stimmt, natürlich. Wir haben zum Beispiel gelernt, wie man es mit dem richtigen Parteibuch und dem absoluten Mittelmaß zum Schuldirektor bringt. Wir haben gelernt, dass es zwei Typen von Lehrern gibt: die wattebäuschchenweichen 68er und die hochneurotischen Vor-68er, die - wenn nicht schon längst daueralkoholisiert - ihr Verhältnis zur Welt nur noch durch die Tyrannei über ihre Klasse aufrechterhalten konnten. Kurz: Wer dieses System als Schüler genossen hat und ohne größere Schäden überstanden hat, wird auch sonst mit nichts auf der Welt ein ernsthaftes Problem haben und somit zur überwiegenden Mehrheit dieses Landes gehören, die sich für ihre Kinder ja bekanntlich nichts sehnlicher wünscht als den beruflichen Einstieg ins Lehrertum. Womit wir bei dem Punkt sind, dass jedes Land die Lehrer hat, die es verdient.

Disclaimer: Ich muss vielleicht hinzufügen, dass ich auf einem der schlechtesten Gymnasien in ganz Deutschland war.