das antlitz des herrn

Immer wenn ich so eine Geschichte lese -- eine durchaus lesenswerte Geschichte übrigens --, muss ich an die vielen, vielen Reliquien denken, die in deutschen Kirchen und Klöstern bis heute aufbewahrt und verehrt werden, und die irgendwie ein Sackhaar oder einen Mittelfinger oder die Vorhaut usw. des Herrn Jesus sein sollen. Das war ja ein wichtiger kultureller und ökonomischer Faktor damals im Mittelalter, als im Verlauf der Kreuzzüge tonnenweise abgeschnittene Fingernägel und ausgerissene Barthaare all derer verhökert wurden, die irgendwo in einem Nebensatz der Bibel erwähnt sind.

Aber jetzt gehen wir dieser Geschichte da mal nach. Also, der arme Herr Jesus, auf dem Weg nach Golgata, schwitzend, bekommt von Veronika ein Tuch gereicht, mit dem er sich das Gesicht abwischt. Abwischt wohlgemerkt, nicht abtupft. Sehen wir mal großzügig darüber hinweg, dass es ausgerechnet ein Tuch aus dem wertvollsten damals bekannten Stoff ist. Nehmen wir einfach nur an, der Kerl hat sich tatsächlich das Gesicht damit abgewischt. Was passiert dann? Wollen Sie mir wirklich weismachen, dass sich da plötzlich das Gesicht des Typen eingraviert hat? Und zwar so, dass das auch noch über 2000 Jahre später im Detail zu sehen ist? Nicht wirklich, oder? Das müsste jetzt echt ein Wunder sein. Genauso übrigens, wie bei dem Turiner Grabtuch. Ich würde sagen, die Typen da in der Kirche haben allen Grund, ihre Reliquie von niemandem untersuchen zu lassen.