Kreativität – ein Epilog

Vor einigen Tagen habe ich gelesen, dass die großen Musikkonzerne versuchen, den Anteil der Komponisten an den Tantiemen um die Hälfte zu kürzen. Sie wollen also den kleiner gewordenen Kuchen der Einnahmen neu aufteilen, natürlich zu ihren Gunsten. Sie wollen diejenigen schädigen, die das liefern, was die Konzerne im Grunde verkaufen: gute Songs. "Sind die aber bescheuert!", dachte ich im ersten Augenblick.

Doch dann habe ich mir fünf Minuten Zeit genommen und musste feststellen: Hey, nichts anderes haben die Verlage und Sender in den letzten Jahren auch gemacht. Auch die haben sich auf Kosten ihrer Redaktionen und freien Inhalte-Zulieferer saniert. So sehr, dass selbst etablierte Autoren (und vielleicht gerade die!) kaum noch ein Auskommen haben. Auch hier hätte man sagen können, die sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Doch so ist es nicht! Die meisten Zeitungen, Zeitschriften und TV-Formate haben überlebt. Auch die so genannten Qualitätsmedien haben nicht wesentlich gelitten. Kurz: Es hat – bis auf ein paar mehr Rechtschreibfehler und einige Themen, die niemand vermisst, weil sie nie formuliert wurden – funktioniert. Warum also nicht auch in der Musikbranche?

Erleben wir gerade eine Zeit, in der kreative Leistungen massiv entwertet werden?

Ich glaube ja, und ich muss mich nur umsehen, um weitere Belege dafür zu finden. Schauen Sie, wie Arbeits- und Perspektivlosigkeit gerade unter den kreativen Berufen grassieren: Architekten, Fotografen, Designer etc. Und vielleicht sollten wir auch noch die ganzen Geisteswissenschaftler dazurechnen, soweit sie nicht sowieso das Ziel vor Augen, Journalist zu werden, haha. Überall eine einzige Katastrophe.

Doch was sind die Gründe dafür?

Okay, wir leben in rezessiven Zeiten, und kreative Dienstleistungen sind die ersten, die zusammengespart werden. Aber reicht das als Erklärung aus? Nein, denn es kommen noch mindestens zwei Aspekte hinzu:

  1. Es gibt ein Überangebot an Kreativität. Nehmen sie die Musik. Die technologische Entwicklung hat dazu geführt, dass Sie heute mit relativ wenigen Mitteln in der Lage sind, professionelle Musik zu produzieren. Eine wunderbare Demokratisierung von Produktionsmitteln, gewiss. Apples GarageBand ist nur eine weitere Stufe in dieser zunächst positiven Entwicklung, die ja auch zu einer Explosion von Kreativität geführt hat. Doch was ist die Situation heute? Es gibt ein gewaltiges Überangebot an jungen, talentierten, hochmotivierten Musikern, die alle vor allem eines gemeinsam haben: keine Chance, jemals von ihrer Kreativität zu leben. Eine ähnliche Entwicklung hat es in den Medien gegeben. Ich glaube mich an eine Statistik zu erinnern, wonach Medienberufe die zweithöchsten Zuwachsraten seit den siebziger Jahren hatten. Übertroffen nur noch von den Legionen von Sozialarbeitern- und –pädagogen, die unsere Gesellschaft in die soziale Apathie geholfen haben. Aber um auf die Verlags- und Musikkonzerne zurückzukommen: Egal wieviele Komponisten, Autoren oder wer immer ihre Jobs an den Nagel hängen, nach Goa auswandern oder Schokoladen-Geschäfte aufmachen, es sind immer ein paar tausend weitere da, die gerne die Lücke füllen.

  2. Wir erleben, wie oben bereits gesagt, eine gewaltige Diffusion von Kreativität, die mit einem anderen Effekt verbunden ist: einer immer mehr um sich greifenden Geringschätzung kreativer Leistung. Wenn sich jeder mit einem PC und einem 2000-Euro-Musikequipment seine Songs zusammenstoppeln kann, wenn sich jeder durchschnittliche Weblog-Schreiber wie Bernstein und Woodward in einer Person fühlen kann, dann gibt es auch keinen Grund mehr, Songs nicht über die Tauschbörse zu ziehen oder News anderer Medien nicht mal eben einfach so zum Aufpeppen der eigenen Page zu benutzen. Dass beides von irgendwem teuer hergestellt wurde, weil ein professioneller Apparat dahinterstecken muss, um so etwas originär zu tun, das ist doch scheißegal. Überhaupt ist jeder halbwegs PC-Versierte heute der bessere Architekt, der bessere Fotograf, Designer, Musiker, Journalist whatever. Als Unternehmer wäre ich doch blöd, wenn ich mir das nicht zunutze machen würde und ebenfalls diejenigen am schlechtesten bezahlen würde, die mir die kreativen Leistungen erbringen.

Was bedeutet das?

Es bdeutet zunächst, dass wir, die wir von unseren Ideen und unseren kreativen Kompetenzen leben, auch dann schwere Zeiten vor uns haben, wenn es dieses Land wider erwarten einmal schaffen wird, wirtschaftlich besser zu Fuß zu sein. Es bedeutet, dass wir, die wir uns immer mal wieder gerne als die intellektuelle Speerspitze dieser Gesellschaft im Spiegel betrachten , nicht wirklich verstanden haben, dass die professionellen Systeme, auf die wir unser Leben aufgebaut haben, vielleicht schon bald zusammenbrechen werden. Und die Ironie an der Geschichte wird sein, dass wir deshalb nicht weniger und schlechtere Musik, nicht weniger und schlechtere Medien, Häuser, Fotos, Plakate etc. pp. haben werden, sondern eventuell sogar noch mehr davon. Nur können wir nicht mehr davon leben.

Nachtrag zum Nachtrag: Ich habe vor einigen Tagen bei gesehen, welch ein lukratives Geschäft das Bewirtschaften von öffentlichen Scheißhäusern ist, wenn man abgezockt genug ist, um arme Russen für 150 Euro im Monat schuften zu lassen. Seither betrachte ich diese Orte mit ganz anderen Augen, das können sie mir glauben.

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ach so

Mit jedem Jahr wird der Aufschwung teurer ...

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"Wegen der Stellenbesetzungssperre ist unser Sekretariat nur dienstags und donnerstags von 10 bis 12 Uhr besetzt. Wir bitten um ihr Verständnis." Arme C4-Professoren, wir haben auch alle Mitleid.

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Doof!

Wenn E-Commerce mal wirklich funktioniert, schaut man ganz doof aus der Wäsche. Dienstagmittag eine Digicam bestellt beim kleinen Billigheimer irgendwo im Ostwestfälischen. Mittwochmorgen steht der Bote vor der Tür und will 500 Europäer haben. Ja, das Geld war natürlich nicht im Haus, wer rechnet denn mit sowas!

Heute wollte der Typ eigentlich noch einmal mit dem Päckchen vorbei.com. Isser natürlich nicht.

Doof!

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Irgendwann

sitzt man da und denkt sich, wenn ich mir jetzt noch einen weiteren solchen Satz aus dem Rippen schneiden soll, falle ich auf der Stelle tot um. Aber du fällst nicht tot um, weil dir fällt eh kein Satz mehr ein. Kein guter, nicht einmal ein schlechter.

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